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Ferien auf dem Reinartzhof
Dieter Fischer
Endlich einmal kein Benzingeruch, keine Geräusche, die ablenken von dem, was ich sehen und
riechen möchte: Natur, Geschichte, erlebtes Leben. All dies will ich versuchen, in Worte zu
fassen.
Die Beziehung zu Reinartzhof ist eine gewachsene, durch Familienbande natürlich entstandene.
Reizvoll vor allen Dingen auch die Jahreszahl 1334.
Doch das Selbsterlebte, gerade aus den Kindertagen, hat sich tief und auf Dauer eingeprägt. Erst
einmal der lange Weg aus dem Dorf herauf über Schwerzfeld, einer kleinen Himmelsleiter. Zu
Fuß auf kurzen Kinderbeinen hieß es, den Weserbach zu überqueren. Die Brücke war durch den
Krieg zerstört. So hatten findige Leute zwei Tannenbäume als Steg über den Bach geschlagen.
Zwei dürre Holzstangen, an den dünnen Enden zusammengebunden, dienten als Handlauf; damit
war die erste schwankende Hürde genommen. Der Schotterweg führte weiter in den Tannenwald,
wenn nicht gerade Stürme Bäume gefällt hatten, die wiederum den Weg versperrten, für den
Fußgänger aber kein großes Hindernis waren. Nach ein paar langen Schleifen durch niederen
Mischwald konnte man schon die ersten Wiesen sowie auch den Hof der Großeltern zwischen
den Bäumen erkennen. Kindliche Aufregung machte sich breit, wollte ich doch vierzehn Tage
Ferien dort verbringen. Noch einige hundert Meter und es war geschafft. Wie durch ein
Eingangstor in einen Dom betrachte ich heute noch den Laubhochwald, der den Blick auf die
Enklave Reinartzhof freigab. Bucheckern als erste Zwischenmahlzeit sagten mir: es ist geschafft.
Ein Steinkreuz der Vorfahren aus dem Jahre 1918 war das nächste beeindruckende Zeugnis von
Reinartzhof. Eine kleine Anlage mit einer niedrigen Buchenhecke umfriedete das Kreuz, bei der
die Hecke so geschnitten war, dass sie das Kreuz selbst wie ein Chorgewölbe überdachte. Töne,
die man glaubte zu hören wie einen Choral der Jahrhunderte, Aussagen der Geschichte, die nur
der versteht, der sich mit einem Leben in dieser doch so lebendigen Einöde identifizieren kann.
Jahrhundertealte Buchen säumten eingangs den Weg, gleich Säulen einer Kathedrale. Eine
gewisse Ehrfurcht machte sich breit. Rechts und links des Weges gemischte Hecken aus
Weißdorn, Hainbuchen, Haselnuss und hier und da auch wilde Stachelbeeren, die seltsam behaart
waren.