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Neubraunfels, den 12. Juli 1869
Lieber Freund Friedrich Welter!
Deinen Brief von 12. Mai habe ich erhalten am 30. Juni. Wir haben uns schon sehr gefreut, dass Ihr
noch alle frisch und gesund seid, wie wir es auch noch sind, und haben die Zeit hier viel von Euch
gesprochen; über die schlechten Zeiten in Europa und besonders über das viele Fleisch essen, was sie
dort tun. Wenn wir an zwei oder drei Tagen kein Rindfleisch haben, dann haben die Kinder immer
Hunger; da habe ich immer gesagt, dass viele Leute in Europa gar keins zu essen hätten; dann wollen
wir nicht da sein, sagen sie alle. Ihr habt geglaubt, es hätte mir die ersten Jahre schlecht gegangen,
aber nein, da hatten wir es besser, wie jetzt. Ich verdiente alle Tage viel Geld und lebte gut. Ich hätte
nicht geglaubt, dass mein Schwager noch leben tät (Karl Förster, genannt Kärlchen, ein armer
körperlich krüppelhafter Mensch). Wir könnten ihn gut gebrauchen für die Hühnernester zu suchen und
die Eier zusammen zu tragen.
Die Häuser liegen hier nicht weit voneinander; sie liegen vielmehr noch viel zu nahe beisammen, denn
wo die Häuser so dicht beieinander liegen, da hat keiner viel. Die Reinartze Familie, die Anna und der
Friedrich und zwei Töchter von Wilhelm (sind die sogenannten Änne Mattessen) und der Schnitzler
(Sohn der sogenannten Änne Wehn, waren alle protestantisch) wohnen alle nicht weit von uns. Der
Boden ist hier sehr schwer und fett. Der beste Boden ist der schwarze und liegt drei bis fünf Fuß hoch.
Wir haben auch unsere Gesetze und Obrigkeit. Die Obrigkeit wählen wir uns selbst, und zwar der
Präsident und Gouverneur auf vier Jahre; der Bürgermeister, der Polizeibeamte, der Friedensrichter und
Steuereinnehmer auf zwei Jahre. Aber keine von Kalterherberg oder ein Bachkobes (ist eine Anspielung
auf das frühere hiesige Regime des Bürgermeister Jac. Bach und des Beigeordneten Con. Conrads),
die würden gleich aufgehängt, dass die Raubvögel sie fressen täten. Die Gesetze sind viel strenger wie
bei Euch; einer sieht auf den andern und wird nicht lange mit einem Verbrecher gespaßt: aufgehängt
oder die Kugel, nicht sein Leben lang in Arrest. Der Amerikaner spaßt nicht lange damit, besonders
wenn der Übeltäter ein Deutscher ist. Er wird ein- oder zweimal gewarnt, dann aber ist es alle.
Ich wohne ein und eine viertel Stunde von der Stadt entfernt. Schulen haben wir so gut wie Ihr, und
kommen die Kinder im Unterricht besser fort wie in Europa; sie lernen deutsch und englisch. Wir haben
einen fürchterlichen Regen gehabt. Vom 3. bis zum 7. Juli stand das Wasser so hoch, als es kaum
Leute gedenken. An den Mühlen und an vielen Feldern hat es großen Schaden getan. Wir machen
sonst eine gute Ernte, besonders in Mais und Korn. Die Baumwolle steht auch bis jetzt noch gut, wenn
nur keine Raupen oder der Wurm dran kom-men. Ich hätte nicht geglaubt, dass Ihr noch so weit alle
beisammen wäret. Du hast wohl Recht; das Heiraten ist auch bedenklich, wenn das Vermögen in fünf
Teile geteilt wird, dann hat keiner was zum Leben, bloß zum Sterben. In der Beziehung ist es hier viel
besser. Alle, die von Roetgen hier sind, haben ein schönes Eigentum, trotzdem sie sämtlich arm hierhin
gekommen sind, wie Du weißt, und Deine Mutter weiß es wohl noch besser. Ich selbst wäre ja zu arm
geworden für zu betteln, wenn mir meine Frau in Europa gestorben wäre. Die Anna und die Lena lassen
Euch vielmals grüßen, die Lisbeth hat keine Zeit dazu, sie muß immer beten, denn sie ist eine alte
Nonne (Anna, Lena und Lisbeth, alle drei früher ausgewanderte Schwestern des Karl Kreitz).
Für diesmal alles. Der Schnitzler lässt seine Mutter, Schwestern und Schwager grüßen. Ich grüße
Euch und alle Verwandten und Bekannten. Einen Gruß an meine Schwägerin Anna (Anna Förster in
Burtscheid wohnhaft und verheiratet, Schwester der verstorbenen Frau des Karl Kreitz), sie soll doch
schreiben, wie es Ihr geht, und wie viel Kinder sie hat.
Schreibe bald wieder. Das Papier ist alle.
Karl Kreitz, Comal County, Texas Amerika