Sechster Brief:                                                                        Roetgen, den 23. Februar 1865

 


Lieber Freund!

 

   Es sind wieder etliche Tage oder gar Wochen vergangen, daß ich nicht an Dich schreiben konnte, weil sich keine Gelegenheit dazu fand. Heute bin ich leider imstande wieder einiges zustande zu bringen und will daher auch nicht die Gelegenheit  ungenutzt vorbeigehen lassen. Ich sage mit Recht „leider“, denn ich bin etwas unpäßlich und zwar zu krank, um zu Weben, aber zum Schreiben doch nicht zu krank.

   Wir sind im letzten Briefe mit der Reisebeschreibung bis Simmerath gekommen, wo ich übernachtete. Die Ruhe war mir so willkommen, daß ich von zehn Uhr abends bis sieben Uhr morgens ununterbrochen schlief. Von Simmerath habe ich nichts Besonderes mehr zu berichten, wahrscheinlich wirst Du aber auch schon selber dort gewesen sein, so daß Du seine Lage und Beschaffenheit im Äußeren bereits kennst. Die Einwohner sind in Hinsicht der Kleidertracht und Lebensart überhaupt den andern Monscheuern immer einen Schritt voraus, was wohl dem Zusammentreffen der verschiedenen Kreis - Verbindungsstraßen sowie dem vielbesuchten Jahrmärkten im Frühling und Herbst und dem damit verbundenen Verkehr mit Leuten aus allen benachbarten Gegenden mittelbar zuzuschreiben ist.

   Den 24. Februar: Von Simmerath nach Steckenborn verfolgt man wieder die Kesternich - Einruhrer -  Landstraße zurück bis auf dem halben Wege nach Kesternich. Hier schlägt man linker Hand und zwar in schräger Richtung einen Feldweg ein, der einen über die kahle zum Theil gerodete Hochfläche fast ganz ohne Steigung und Senkung nach Steckenborn hinführt. In einiger Entfernung diesseits Steckenborn geht man bei dem linker Hand gelegenen Dorfe Strauch vorbei, welches Du schon aus dem vorigen Briefe, sowie bei Deiner Wallfahrt nach Heimbach kennen zu lernen Gelegenheit hattest. Der Pfarrort Steckenborn liegt, wie gesagt, auf einer kalten rauhen Hochfläche, hat aber nach Osten und Süden zu sehr gutes Acker- und Kartoffelland. Die Kirche hier scheint aus dem vorigen oder sogar vorletzten Jahrhundert her zu stammen und erfreut sich unter der Fürsorge des jetzigen Pfarrers einer durchgreifenden Verschönerung im Innern. Auch das Pfarrhaus an der Ostseite der Kirche gelegen, ist nach „alterthümlicher“ Weise gebaut und, zum Betriebe der Ackerwirthschaft, mit geräumigen Ökonomiegebäuden versehen. Eine Erklärung des eigenthümlichen Namens dieses Dorfes vermag ich nicht zu geben, wir müssen uns hier in dieser Hinsicht auf die etwaigen Bemühungen des Rektors Dr. Pauly verlassen. Er schreibt; daselbst war ein Born und um denselben besser finden zu können war derselbe mit Stecken und Stöcklingen umstellt. 

   Von Steckenborn nach Ruhrberg ist wieder eine der mühsamsten Routen, die es im ganzen Kreise geben. Man schlägt in Steckenborn einen dunklen Feldweg ein, der zuerst sanft absteigend durch fruchtbares Ackerland führt; bald aber verwandelt sich das Letztere in ein hartes felsiges Gestein und man befindet sich anscheinend auf den hohen Gipfel eines kahlen Felsberges, der das nördliche Ufer eines Nebenthales der Ruhr bildet. Vor sich erblickt man das gegenseitige südliche Ufer des nämlichen Thales, auf welchem das Dorf Ruhrberg sehr anmuthig gelegen ist, und man muß unbedingt das Thal überschreiten, um nach Ruhrberg zu gelangen. Der Weg in dasselbe hinab steigt an der südlichen Wand des genannten Berges halsbrecherisch jäh hinunter. Ich glaube nicht, um Dir die Beschaffenheit des Weges kurz begreiflich zu machen, daß der Weg zur Hölle gefährlicher sein kann, denn ein einziger Fehltritt könnte leicht das Leben kosten. Die Höhe von der man hinunter steigt, mag sich auf etwa sechs- bis siebenhundert Fuß belaufen.  Zwar führt auch eine bequeme Passage ins Thal hinab, nämlich ein zum Verkehr mit leichtem Fuhrwerk eingerichteter Fuhrweg, der weiter westwärts im nämlichen Thale an einer Getreidemühle vorbei führt; allein derselbe macht einen ungeheuren Umweg. Zudem ist es für jemanden, der an eine gebirgigen Gegend nicht gewohnt ist, trotz aller Gefahr eine Ergötzung, von einer so hohen Bergspitze hinunter zu klettern,  gleich als käme man aus dem hohen Sternenhimmel herab. Im Thale angelangt, ist das Dorf Ruhrberg, sowie die sämtliche entferntere Umgebung wegen des tiefen Standpunktes aus den Augen entschwunden. Aus dem Thale führt ein Feldweg durch fruchtbares Ackerland sanft ansteigen den Hügel hinan, auf welchem theilweise Ruhrberg gelegen ist.   

 

                        Schluß folgt!