Vierter Brief:
Roetgen, den 7. Dezember 1864
Lieber
Freund!
Ich habe
die Fortsetzung meiner schriftlichen Mittheilungen so lange verschoben, weil
ich vorher die im letzten Brief erbetene Antwort erwarten wollte. Da diese aber
auszubleiben scheint, so will ich jetzt in versprochener Weise fortfahren,
meine Briefe zusammen zu tragen und zwar sollen diesmal meine Nachrichten über
meine Reise durch das Montjoier Land wieder zur Hand genommen werden, mit denen
ich im vorletzten Brief bis zum Dorf Höven gekommen war.
Höven liegt
am rechten Ufer des Perlbaches und zwar auf einer sehr hohen, dem rauhen und kalten Eifeler Klima allseitig ausgesetzten
Gebirgsfläche. Diesem Umstand ist es zu danken, daß
sich das Dorf schon in bedeutender Ferne den Blicken des Wanderers darbietet;
doch gewahrt man von weitem nur die Kirche, die als hübsches und noch neues Bauwerk
sich aus den Buchenhecken, womit die Häuser zum Schutze gegen die rauhe Witterung umgeben sind, hervorhebt. Diese Kirche ist
nach gothischer Bauart aufgeführt und hat mit unserer Kirche in Roetgen große
Ähnlichkeit; doch ist sie etwas kleiner. Sie wurde vor sechs bis acht Jahren an
Stelle einer alten, kleinen und unansehnlichen Kirche gebaut, erhielt alsdann
die kirchliche Einsegnung und im Sommer dieses Jahres die bischöfliche
Konsekration. Ihre hohe Lage hat es wahrscheinlich nothwendig gemacht, daß sie mit einem Blitzableiter versehen worden ist. Im
vorigen Jahr ist hierselbst auch ein neues stattliches Pfarrhaus erbaut worden.
Die
Poststraße von Montjoie nach Schleiden und Gemünd durchzieht das Dorf Höven und
führt hier dicht an der Kirche vorbei. Von Montjoie hat dieselbe, wie fast alle
Straßen und Wege durch das Eifelland, einen großen Bogen zu machen, um die
äußerst beschwerliche Ansteigung aus dem
Ruhrthale bis zur Höhe Höven zu mildern. Von Höven aus hat sie den
großen „Höver - Wald“ zu passieren und erreicht nach etwa zwei Stunden
Schöneseifen, dann das Dorf Harperscheid und nun geht’s rasch bergunter bis nach Schleiden.
Die Häuser
in Höven sind zwar alle nach ländlicher Art gebaut; doch scheinen viele von
einem inneren Wohlstande ihrer Bewohner
zu zeugen, wie es denn auch daselbst mehrere Bauern gibt, die sich, wie man zu
sagen pflegt, für hundert Thaler nicht zwischen eine Thür quetschen lassen.
Dies hat sich erprobt als die neue Kirche vollendet war, denn da gab nämlich
eine einzige Person, eine alte Witwe, die Kosten einer neuen Orgel im Betrage
von 1700 Thalern her. Zugleich gibt uns dieser Umstand einen Beweis, daß Religion und kirchliche Gesinnung bei den Bewohnern gewiß nicht erstickt ist. Die Bewohner ernähren sich von
Ackerbau und Viehzucht, sowie von Fabrikarbeiten in Montjoie, von
Waldbeschäftigungen, Holzhauen, im Herbst von Vogelfangen etc.
Den 8.
Dezember: Die erste Station nach Höven ist Rohren, das bekannte Schöttelchens
Rohren. Man hat für diese Tour zwar eine Chaussee, die, um die Senkung eines
kleinen Nebenthales der Ruhr zu entgehen, in südlichen Bogen über die Höhe
angelegt ist. Hierdurch macht dieselbe einen bedeutenden Umweg, so daß ich einen alten in ziemlich gerader Richtung vom
ersteren Orte zum Letzteren hinführenden Fuß- und Fuhrweg am öftesten benutze,
wiewohl dieser Weg bei nasser Witterung sehr schmutzig ist. Doch hält auch
dieser Weg fast vom Anfang bis zu Ende die Hochfläche des rechten Ruhrufers
inne, wodurch dem Wanderer an vielen Stellen die schönsten Aussichten auf die
gebirgige Umgebung des Ruhrflußes und seiner Nebenthäler gestattet sind. Man
erblickt hier sämtliche hervorragende Bergrücken ober- und unterhalb Montjoie
mit ihren kahlen, grau aussehenden Oberflächen; ferner die Dörfer Imgenbroich,
Mützenich, Kalterherberg, Rohren, Eicherscheid und das Schloß
in Montjoie. Die nächste Umgebung des Weges besteht fast ganz aus Ackerland;
nur hier und da findet man ein kleines Stück Heidelandes. Wald und Bäume sind
aber nicht zu finden; dafür scheint mir der Boden zu mager und das Klima zu
kalt zu sein, denn dieser Höhenstrich ist den kalten Nord- und Ostwinden ganz
besonders ausgesetzt.
Geackert
wird darum hier sehr wenig Roggen; Kartoffeln schon mehr, aber am meisten
Hafer. Früher waren die Leute hier wie auch in Höven und Kalterherberg der
Ansicht, das Roggen schlechterdings nicht zu erzielen wäre auf den hiesigen
Äckern; deshalb machte auch kein einziger Bauer den Versuch mit einer
Roggensaat, und es entstand das Sprichwort: Wer sich als Verbrecher zu
Kalterherberg in ein Saatfeld oder Kornhaufen flüchtet, den könne die Polizei nicht
ergreifen. (Siehe das Topographische, im 1. Heft der Pauly`schen Montjoier
Geschichte). Seitdem aber vor etwa 80 Jahren ein nicht Eingeborener einen
Versuch mit Roggen - Erzielung machte und dieser Versuch günstig ausfiel, wird
auch von den übrigen Bauern immer etwas Roggen neben Hafer und Kartoffeln gesät
und zwar manchmal mit gutem Gewinn.
Ich hatte
das Glück, auf dem Wege von Höven nach Rohren einen Gesellschafter zu haben,
nämlich einen Mann, der von Höven zurück nach Hause reiste. Wie ich erfuhr, war
derselbe aus Simmerath gebürtig, arbeitete in Belgien (Kelmis), war in Rohren
verheirathet mit seiner Familie ansässig und hatte in Roetgen noch einige
Verwandte. Er hatte den Weg nach Höven gemacht, um dort den Bürgermeister anzugehen,
daß dieser ihm die Entlassung seines ältesten Sohnes
vom Militärdienst, in welchen derselbe schon zwei Jahre zugebracht hatte,
erwirken möchte. (Rohren steht nämlich als Nebenbürgermeisterei unter Höven).
Da der Bürgermeister nicht zu Hause gewesen war, so hatte der Mann den Weg
vergebens gemacht. Uns aber gab dieser Umstand fast auf der ganzen Strecke
Weges einen angenehmen Stoff zur Unterhaltung, und ich macht dabei die Erfahrung,
daß es auch dort zu Lande, so gut wie bei uns, Leute
gibt, die der langen Dienstzeit im preußischen Staat nicht grün sind. Alban
Stolz nennt den Militärdienst „Blutzehrend“. Ich glaube aber, daß mein Gesellschafter noch weit strengere Ansichten
darüber zutage gefördert hätte, wenn seine Ausdrucksfähigkeit es ihm, wie
Jenem, erlaubt haben würde. Um seine übrigen Söhne von dieser beschwerlichen
Pflicht zu entledigen, war er gesonnen, nach Belgien hinüber zu siedeln, wo
bekanntlich der Militärdienst viel erträglicher ist. Unter fortwährenden
Gesprächen kamen wir nach Rohren, wo wir uns trennten, und die Zeit war mir
infolge der unterhaltenden Gesellschaft sehr kurz gefallen, was wohl jedem
einleuchtet, der viel allein und in Begleitung vertrauter Menschen gereist ist.
Übrigens
scheint der Verkehr zwischen den verschiedenen Ortschaften des Montjoier Landes
gering zu sein und man hat sehr selten Begleitung unterwegs. In Rohren traf ich
schon wieder die Kirmes, die aber nur aus einer kleinen Ergötzung besteht, und
nach Monschäuesch Redeweise „eine Döpeskörmes“ ist, das heißt es wird sich mit
köstlichen Speisen und Getränken zu Gute gethan und von der Arbeit gefeiert,
aber Tanzmusik, die eigentliche Seele einer Kirmes, findet nicht statt.
Den 17.
Dez.: Überhaupt sind aber auch im Montjoier - Kreise die öffentlichen
Lustbarkeiten nicht so häufig und großartig wie in den Ortschaften der nördlich
und nordöstlich angrenzenden Kreise Aachen und Eupen. Tanzmusik findet nur an
den Hauptkirmessen, sowie in einigen Ortschaften um Fastnacht statt. Am ersten
Sonntag nach Johanni (24. Juni) findet die allgemeine „Landkirmes“ statt.
Soviel ich weiß, haben außer Roetgen, Rott, Zweifall und Montjoie alle Orte des
Kreises an diesem Tage Kirmes. Im Allgemeinen bildet bei dem
eigentlichen Monscheuer das Kartenspiel das Hauptmittel zur Erholung und Unterhaltung an Sonn- und Feiertagen.
Diesem Spiele sind manche Personen mit gar zu großer Leidenschaft ergeben. Es
gibt Leute, die sehr häuslich und sparsam sind; sobald sie aber am Spieltisch
sitzen, so scheint es, als ob ihnen an Geld und Gut ganz und gar nichts gelegen
wäre; der größte Einsatz ist ihnen der Liebste. Andere Spiele und Vergnügungsmittel
kennt man nicht; nur das Kartenspiel wird hier und da, namentlich in Simmerath
betrieben. Ich habe nie Gelegenheit gehabt, einer Kirmes in Montjoier Lande
beizuwohnen; es soll aber in Rohren, so wie in mehreren anderen Ortschaften bei
der Tanzmusik sehr kunstleer, doch aber drollig zu Werke gehen. Letzteres ist um so leichter zu glauben, da die
Gebirgsbewohner sich hier zu Lande nur langsam von ihrer alterthümlichen
Lebensart trennen, ob zu ihrem Glück oder Unglück, ist hier nicht der Ort zu entscheiden.
Den 22.
Dezember 1864: Ich war gesonnen, mit
Vorstehendem meinen Brief zu schließen. Da ich aber nun am vergangenen Montage
die so lange erwartete Antwort auf meinen vorigen Brief erhalten habe, so bin
ich entschlossen, denselben noch um einiges zu verlängern. Ich dachte nicht
anderes, als daß mein vorhergehender Brief
verlorengegangen sei, in diesem Falle hätte ich ihn von neuem geschrieben. Ehe
ich nun meine Topographie fortsetze, will ich jedoch Deinen mit dem 11. des
Monats beginnenden Brief kurz beantworten.
1. Es
gereicht mir gewiß nicht weniger als Dir zur größten
Freude, daß ich vor zwei Jahren Deine Bekanntschaft
machte, und es hängt einzig von Dir ab, ob unsere Freundschaft noch weiter
fortbestehen wird.
2. Der
abgeschriebene fremde Brief und die darin enthaltene Beschreibung des Schles. -
Hol. Feldzuges war nicht von meinem Vetter, sondern derjenige, an den das
Original geschrieben war, ist mit dem Schreiber als Vetter verwandt; von mir
war derselbe bloß ein guter Bekannter und Freund.
3. Von der
neuen Erfindung, die Du mir mitgetheilt hast, hatte ich bisher weder gehört
noch gesehen und es verlangt mich sehr, bald etwas mehr darüber zu erfahren;
besonders ob unter Christian Josef Schmitz der so genannte „Keäze Jueseph“ in Raeren
zu verstehen ist.
4. Die
Werke des Herrn Alban Stolz besitze ich jetzt alle, ausgenommen „Legende“ und
„Besuch bei Sem, Cham und Japhet“. Dieses letzte Buch scheint mir ähnlichen
Inhaltes zu sein wie das „Spanische“, da der Verfasser in demselben seine Reise
nach dem Morgenlande beschreibt. Der hohe Preis desselben hat mich bis dahin
von der Anschaffung zurück gehalten; es
kostet nämlich 1 Thaler 3 Silbergroschen. Dein Wunsch von Herrn Pauly eine
Beschreibung seiner Römer - Reise zu erlangen, wird wohl etwas stark sein; vielleicht,
daß er mir gelegentlich einige mündliche
Mittheilungen machen würde, wenn ich ihm darum anginge. Am vorigen Sonntag war
ich bei ihm, da hatte er aber keine Zeit zur längeren Unterhaltung, weil er in
die Stadt gehen mußte. Das 4. Heft der Montjoier
Geschichte ist auch bereits gedruckt und soll innerhalb der ersten drei Wochen
heraus gegeben werden. Es fehlt dem Rektor nämlich einstweilen zur Verausgabung
desselben noch an der nöthigen Erlaubnis von Seiten des Verlegers. Ein Exemplar
davon schenkte er mir jedoch, damit ich meine Neugierde befriedigen konnte. Es
enthält dieses Heft noch keine speziellen Mittheilungen über Roetgen, doch
findest Du meine Wenigkeit darin erwähnt. Nächstens werde ich Dir aber auch,
nach jahrelanger Zurückhaltung, das „Buch der Erfindungen“ zurück
besorgen.
Den 14.
Januar 1865: Was wirst Du wohl denken, lieber Freund, von der Pünktlichkeit,
mit welcher ich mein gegebenes Versprechen erfülle? Seit dem 22. Dezember
vorigen Jahres die Feder nicht mehr zur Fortsetzung des Briefes angefaßt und noch dazu am 27. desselben Monats das
Versprechen zu geben, daß Du vor Neujahr den Brief
erhalten würdest! Ich muß mich auf Deine Barmherzigkeit verlassen und kann zur
Entschuldigung vorbringen, daß ich in der letzten
Zeit zu sehr von meinen Handwerksgeschäften in Anspruch genommen war, und was ich da noch an Zeit erübrigen konnte, die
habe ich benutzt, um einen „Topographisch - historischen Plan des Dorfes
Roetgen“ auszuarbeiten. Es war schon seit Jahren mein Wunsch gewesen, einen
solchen zu besitzen und da hat mir dann endlich ein Freund in meiner
Nachbarschaft, welcher auf unserem Bürgermeistereiamt schreibt, dazu verholfen,
indem er mir eine ältere, auf der Bürgermeisterei befindliche Flurkarte
nachgezeichnet und geschenkt hat. (Siehe denselben unten zwischen Seite 936 und
937 dieses Bandes).
Rohren, bei
den meisten Bewohnern des Montjoier Landes besser unter dem Namen „Schöttelchens - Rohren bekannt, liegt auf
einer Hochebene des rechten Ruhrufers. Die zwischen Hecken und Bäumen versteckten
Häuser des kleinen Pfarrdörfchens sehen meist etwas ärmlich aus, obschon es
nicht an bedeutenden Wohlstand bei vielen Einwohnern fehlt. Die Leute nähren
sich von Ackerschaft und Viehzucht, daneben auch von der Weberei und andern
Fabrikarbeiten, wozu ihnen die Nähe der Fabrikorte Montjoie und Imgenbroich
Gelegenheit bietet. Die Kirche hierselbst ist klein und unansehnlich, weshalb
man schon seit geraumer Zeit auf den Bau einer Neuen spekuliert. Weil es aber
hierzu in der eigenen Gemeinde an Mitteln fehlt, so läßt
der dortige Pfarrer Heuser, es sich eifrigst angelegen sein, eine,
wahrscheinlich von der königlichen Regierung bewilligte, Hauskollekte durch
verschiedene Ortschaften und Distrikte der Umgegend abzuhalten; vielleicht
liegt aber doch der Zeitpunkt, an welchem der Bau begonnen werden kann, noch
ziemlich fern.
Im übrigen hat Rohren von allen Pfarrdörfern des Montjoier
Landes die bescheidenste und isolierteste Lage, so daß
es nicht leicht von der Neugierde fremder Passagiere
ausgemustert wird, was auch der obenerwähnte Pfarrer zugestand. Derselbe ist
nämlich ein sehr schlichter und zufriedener Mann, und als ich ihm einmal die
Bemerkung machte, daß er sich von allen Kollegen im
Dekanat mit der kleinsten und einfachsten Wohnung begnügen muß,
sagte er mit einem Ton, der die größte Zufriedenheit und Gemüthlichkeit verrieth:
„ Daran ist nichts gelegen, ich habe mich ja auch niemals vor großen und vornehmen
Besuche zu fürchten.“
Zum Schluß lasse ich Dir noch die Abschrift des längst
versprochenen Liedes „Stolze Welt“ folgen, wozu ich jetzt eben imstande bin. (Dieses im Original befindliche Lied ist
hier nicht aufgenommen, weil es sich in meiner „Liedersammlung“, (siehe Heft I.
33.) vorfindet. (Wurde wahrscheinlich von H. Cremer eingefügt (R.W.))). Mit
der Hoffnung recht bald eine Antwort auf meinen Brief oder, was mir noch lieber
ist, einen Besuch von Dir zu erlangen, verbleibe ich Dein treuer Freund,
Hermann Josef Cosler.