Zweiter Brief:
Roetgen, den 19. Oktober 1864
Lieber Freund!
Mit der größten
Freude habe ich gesehen, daß meine anspruchslose Reisebeschreibung bei Dir den
gewünschten Anklang gefunden hat, und ich werde es mir zur Ehre rechnen in den
Mittheilungen fortzufahren und, soweit es die Geisteskräfte eines Monscheuers
gestatten, Dir dasjenige über unser Monschauer Land in meinen Briefen zusammen
zu stellen, was ich glaube, daß Dich interessiert und Deine lobenswerthe
Wißbegierde in Anspruch nimmt. Es hat mich besonders gefreut, zu vernehmen, daß
Du meine Briefe des weiteren Aufbewahrens für werth hältst. Du wünschst gemäß
Deinem Schreiben vom 15. des Monats, die Nummern des „Echo“, worin sich der
Aufsatz über die Aachener Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts befindet, zu
erlangen. Diese stehen zu Diensten, sobald sich Gelegenheit darbietet, sie Dir zu besorgen; aber nur die
14 ersten, denn mehrere habe ich nicht erlangen können, indem von da ab die von
der Expedition des Blattes nicht verausgabten Exemplare dem Verfasser des
Artikels auf dessen Verlangen überlassen worden sind, wie man mir sagte. Du
kannst mir glauben, daß ich deshalb sehr ärgerlich gewesen bin, und wenn ich
das vorher gewußt hätte, so würde ich für die 14 Nummern auch nicht meine
Groschen ausgegeben haben; denn nichts ist mir unausstehlicher, als solche
Sachen nur stückweise zu besitzen; lieber gar nicht!
Mit der
„Geschichte des Grafen von Heimbach“ ist es mir ähnlich ergangen; dieses Buch
ist vergriffen. Man hat mir jedoch die Zusage gegeben, wenn sich bei etwaiger
Aufräumung der alten Sachen noch ein Exemplar vorfinden sollte, so wäre
dasselbe ausschließlich für mich. Sodann bin ich aber auch sehr gespannt auf
den Inhalt der „Wallfahrth nach Kevelar“. Ich wollte, daß ich Zeit hätte, mir
das Buch holen zu kommen, aber das wird wohl schwerlich was geben können vor
unserer Kirmes. Deshalb verlasse ich mich drauf, daß Du mir das Buch um
Hubertuskirmes, welche am künftigen Sonntag über 14 Tage, das ist am 6.
November, eintritt, herüber bringst. Die Gelegenheit zu einem Besuch ist Dir
mithin geboten, und eine Entschuldigung wegen etwaigen Ausbleibens wird unter
keiner Bedingung angenommen.
Bevor ich
mit der Beschreibung meines Weges durch die Steppen des Montjoier Landes
fortfahre, muß ich vorher eine fehlerhafte Angabe aus dem ersten Brief berichtigen.
Ich habe nämlich in demselben bemerkt, daß sich in Reichenstein eine
Bierbrauerei befände, was ein Irrthum von mir ist, denn das ist unwahr; in
Reichenstein ist keine Brauerei. Indessen läßt diese Lücke sich wieder
ausfüllen, da ich anderseits zu wenig angegeben habe. Von einem Einwohner aus
Roetgen, der noch nach uns dagewesen und gut bekannt ist, habe ich nämlich
vollständige Nachricht über die dortige Wirthschaft erhalten, und nach der
Aussage desselben beläuft sich die Morgenzahl des in diesem Jahre mit
Kartoffeln bepflanzten Ackerlandes auf circa 60 Morgen. Alljährlich werden hier
im Durchschnitt an die hundert
Schweine gemästet und zum Behufe der Schnapsbrennerei täglich 2 zweispännige
Karren Frucht (Korn) verbraucht, ungerechnet die auf dem Gute selbst erzielte
Frucht.
Ich habe
diese Abschweifung von meiner vorgeschrieben Route absichtlich gemacht, indem
ich glaubte, die Mittheilungen über Reichenstein würden Dich eben so viel, wenn
nicht noch mehr interessieren als alles Übrige. Kehren wir jetzt auf den Weg
nach Kalterherberg, den wir dadurch verlassen haben, zurück. Wie gesagt,
verläßt der für Fußgänger zumeist gebräuchliche Weg die Landstraße und steigt
geradezu den Berg hinan. Auf der Höhe angelangt, tritt man in einen Hochwald
ein, der mir eine Anpflanzung aus jüngerer Zeit zu sein scheint, indem er
ausschließlich aus Nadelhölzern besteht. Ich vermuthe, daß er vor dieser
Bepflanzung mit Nadelhölzern eine kahle Vennstrecke gewesen ist. Wenn man den
Wald durchschritten hat, so gelangt man auf weit ausgedehntes Acker- und
Wiesenland und erblickt vor sich in beträchtlicher Höhe den nördlichen Theil
von Kalterherberg. Bald betritt man auch wieder die linker Hand herauf kommende
Landstraße, welche nunmehr ebenfalls den Berg an seiner schwierigsten Stelle
überwunden hat, jedoch noch immer bedeutend steigen muß bis in das Dorf hinein.
Daß man auf dieser letzten unbewaldeten Strecke häufig kalte und scharfe Winde und selbst im Sommer
eine rauhe Temperatur antrifft, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen: Man
befindet sich in der „kalten Herberg“.
Kalterherberg
ist ein sehr langes Dorf, die Landstraße ist hier, wenigstens soweit ich sie
betrete (vom nördlichen Ende bis zur Kirche) noch in ihrem ursprünglichen
Zustande vorhanden, nämlich mit regelmäßigen Quadersteinen gepflastert, wie solche zur Zeit der
napoleonischen Herrschaft überall gebaut wurde. Obwohl Kalterherberg in
Betreff der Häuserzahl kleiner ist als Roetgen, so ist doch die Pfarre größer,
weil alle Einwohner katholisch sind. Die Gemeinde hat neben dem Pfarrer auch
einen Vikar. Die Häuser sind hier alle nach Eifeler Art gebaut, das heißt, dem
Klima anpassend, wenig äußere Wände, aber desto mehr Dach, welch letzteres bei
den meisten aus Stroh verfertigt ist. Schon das dritte Mal traf ich es, daß
hier die Einwohner mit der Kirmes im Treffen waren, welche mit dem am Sonntag
vorher begangenen St. Lambertus- oder Kirchenpatronsfeste verbunden ist. Da ich
oft gehört hatte, daß hier so abscheulich dicke und große Torten gebacken
würden, so benutze ich diese Gelegenheit, um mich hiervon zu überzeugen und
trat deshalb in ein Wirthshaus, wo ich mir eine Torte kaufte. Man brachte mir
eine solche, die so klein war, als ich deren noch wenige gesehen hatte und zwei
Silbergroschen kostete. Mein Vorwitz war dadurch genügend bestraft; aber ich
war auch nun zur Einsicht gekommen, daß die Kalterherberger bei aller
Stupidität, die ihnen angehängt wird, doch nicht zu dumm sind, sich ihre Sachen
bezahlen zu lassen.
Wie in
einer munteren Gesellschaft in der Regel eine Person „durchgenommen“ wird, so
hat auch jedes Land und jede Gegend immer eine Ortschaft, die als Muster der
Stupidität und Dummheit dient und der Schauplatz aller Erzählungen von lächerlichen Thaten
dummer und stumpfsinniger Menschen abgibt. Dieser Schauplatz ist für die
hiesige Gegend das Dorf Kalterherberg. Du hast gewiß, lieber Freund, schon oft
Gelegenheit gehabt, so genannte „Kauerherbriger Stöckelcher“ erzählen zu hören
und ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, daß dieselben allesamt erdichtet sind,
wie denn die Einwohner von Kalterherberg, sowie auch die Bewohner des
Montjoier Landes im Allgemeinen sicher
nicht weniger geistvoll und aufgeweckt sind, als die Bewohner der umliegenden
Ortschaften und Gegenden.
Den 25.
Oktober: Die Einwohner von Kalterherberg sind theils Ackerbauern theils
Viehzüchter; jedoch ernähren sich auch viele von Fabrikarbeiten in Montjoie.
Gegenwärtig sind mehrere Weber hier, die sogar für Aachener Fabrikanten arbeiten
und sich ihre Arbeit also acht Stunden weit herbei holen müssen. In Eupen
arbeitet auch schon eine größere Zahl. Es hat dies seinen Grund in dem
gesunkenen Betrieb in den Montjoier Fabriken. Im Herbst sind auch viel mit dem
Krametsvogelfang beschäftigt und dann schlägt einer den anderen todt. Ich füge
dies bei, da es vor einigen Jahren wirklich vorgekommen ist, daß ein paar
Vogelfänger wegen eines einzigen Vogels in Streit geraten sind und einer von
ihnen den andern todtgeschlagen hat.
Die Kirche
in Kalterherberg ist ein schönes Gebäude und wie viele andere Häuser aus
rheinischen Schiefersteinen gebaut. Schon vor langen Jahren hat sie die bischöfliche
Consekration erhalten, welche bekanntlich in diesem Jahr noch drei andere
Kirchen des Montjoier Dekanates, nämlich Höven, Mützenich und Roetgen zutheil
geworden ist. Im Ganzen sind jetzt acht consekrierte Kirchen im Dekanate. Die
zu Conzen, Simmerath und zwei in Montjoie waren gleichfalls schon früher
consekriert worden.
Mein Weg
führte mich jetzt von Kalterherberg nach Höven. Es gibt für diese Tour zwei
Wege, von denen ich jedoch einen, welcher im südlichen Bogen „über die Mühle“
herumzieht, nie gereist bin, indem mir derselbe immer als sehr schmutzig und
unangenehm geschildert wurde. Der andere von mir gebrauchte Weg, führt von
Kalterherberg die Landstraße herunter auf Montjoie zu bis an einer Stelle, wo
sich Letzterer dem Perlbach ziemlich genähert hat. Hier tritt man rechter Hand
von der Landstraße ab und steigt durch Tannengebüsch jäh in das tiefe Thal des
Baches hinab. Hier befand sich früher eine hölzerne Brücke, mittels welcher man
den Fluß übersteigen konnte. Als ich im Verlaufe dieses Sommers die gleiche
Reise machte, hatte das Wasser diese Brücke weggeschwemmt, und es fand sich für
mich kein anderer Rath, als aus der Not eine Tugend zu machen. Ich zog
daher Schuhe und Strümpfe aus und ging
barfuß durch das Wasser, wodurch ich nicht nur ohne weiteres Ungemach über den
Fluß gelangte, sondern auch meinen durch das lange Gehen in Hitze gerathenen
Füßen ein erwünschtes Bad und
erquickende Abkühlung zutheil wurde.
In
Erwartung, daß die Brücke wieder hergestellt sei, ging ich dieses Mal wieder
den Berg hinunter; da dieselbe aber noch nicht gebaut war, mußte ich den
beschwerlichen Weg machen und zurück den Berg hinauf klettern. Die Landstraße
noch etwas weiter abwärts verfolgend, gewahrte ich tiefer im Thal eine neue
Brücke, die mir den Übergang über den Fluß gestattete, wenn sie gleich noch
nicht ganz vollendet war. Das Brückenmallör hatte mich eine Zeitversäumnis von
mehr als einer halben Stunde gekostet. Nachdem der Fluß überschritten war,
hatte ich wieder einen hohen Berg zu ersteigen, der zu Anfang sehr steil und
wegen des felsigen Terrains, wie so viele andere Berge der Eifel, von ganz armer
Vegetation war. Nur spärliches Heidegestrüpp bedeckte die Oberfläche des Bodens.
Je mehr man sich aber dem Plateau des Berges und dem auf der Höhe liegenden
Dorfe Höven nähert, desto schneller geht diese Armut der Natur in befriedigendes
Acker- und Wiesenland über; die Steigung
wird immer sanfter und bald gelangt man in das um und um mit hohen Buchenhecken
bepflanzte und vermummte Dorf Höven.
Den 5.
November: Da sich wegen der
heranrückenden Kirmes die Arbeiten immer mehr drängten, so hat sich lange keine
Gelegenheit zum Schreiben dargeboten. Ich wollte daher heute den Brief zum Abschluß
bringen und füge in Eile noch neuerdings die Einladung hinzu, daß Du Morgen als
Gast an unserem Kirmestage; in Begleitung des Johann Kreischer uns doch einen
Besuch abstatten wolltest.
Dein Freund,
Hermann Josef Cosler.