Elfter Brief:                                                                         Roetgen, den 11. Januar 1866

 

Lieber Freund!

 

   Endlich muß ich noch einmal Hand ans Werk legen, um Dir die Fortsetzung und vermuthlich auch den Schluß meiner Reisebeschreibung zu geben. Im letzten Brief waren wir damit bis zum Dorfe Rott, also meiner Heimat schon ziemlich nah, gekommen. Ich überschickte Dir statt einer Beschreibung von Rott, die Karte des Montjoier Kreises mit einer genaueren Bezeichnung meiner Route durch denselben. Da nun der Weg von Rott nach Roetgen, und nicht nur dieser, sondern auch das Letztere selbst, sowie das darauffolgende  Lammersdorf und der Weg nach letzterem Orte Dir gleichfalls durch den eigenen Augenschein und, in Bezug auf Roetgen, durch meine „Geschichtlichen Nachrichten“ hinlänglich bekannt geworden sind, so können wir auch diese Stelle übergehen. Um die Lücke auszufüllen, habe ich Dir neulich im Voraus schon den von mir selbst angefertigten Plan von Roetgen übergeben. (Siehe denselben, Originalseiten Seite 936 bis 937 des 1. Bandes). 

   Als weiteren Ersatz für das Ausgefallene hatte ich vor, Dir eine „Geschichtliche Nachricht“ über meine Familie, den hierselbst ansässigen Stamm der „Cosler“ zu überschicken, allein ich find mich genötigt, diese Arbeit vor der Hand noch etwas anstehen zu lassen, denn Gut Ding braucht Weile. Bis jetzt liegen verschiedene Punkte in der Sache und namentlich die Herkunft des ersten Cosler, der hierselbst existiert hat,  noch sehr im Dunkeln. Meine desfallsigen Forschungen, Nachfragen, Erkundigungen etc. sind noch immer fruchtlos geblieben. Über eine der zweifelhaften Angaben könntest Du mir vielleicht Gewißheit verschaffen. Ich habe nämlich vor einiger Zeit in Erfahrung gebracht, oder besser, es wurde mir von einem glaubwürdigen Mann hier zu Roetgen, der vor etwa 30 Jahren in Raeren gewohnt hat, erzählt, daß auch in Raeren sich ein Mann befinde, der den Familienname Cosler trüge. Da ich hiervon nie gehört hatte, sondern von allen Verziehungen von Personen aus dieser Familie nach andern Ortschaften bekannt zu sein glaubte, so weiß ich nicht, wie ich das reimen soll. Ich richte deshalb hiermit die Bitte an Dich, lieber Freund, mir darüber wo möglich eine gefällige Auskunft zu verschaffen, das heißt, daß Du Dich einmal erkundigst, erstens, ob wirklich eine oder mehrere Personen in Raeren sind, die den Namen Cosler tragen, und wenn dem so ist, zweitens, von woher dieselben nach Raeren gekommen sind. Drittens, bitte ich mir sodann das Resultat Deiner Forschung schriftlich zu überschicken oder mündlich zu bringen. Zum Danke für die Bemühung werde ich Dir später einmal eine „Familiengeschichte“ liefern, wo Du Spaß dran haben mußt. (Im Band I, Originalseiten  649 u. ff. haben wir diese Familiengeschichte gebracht, Aachen den 09.01.1869, H. J. C.).

   Obschon ich jetzt auf meiner Reise zu Hause angekommen bin, so ist dieselbe noch keineswegs zu Ende. Jedoch mache ich mit der Nachhausekunft immer den zweiten Tag zu Ende, die Sonne mag nun unter sein oder nicht. Für den dritten und letzten Tag bleiben mir nur noch die Pfarreien Lammersdorf, Conzen, Mützenich und Imgenbroich übrig. Von Lammersdorf nach Conzen gehe ich gewöhnlich einen einfachen Fußpfad, der diesseits Lammersdorf von der Chaussee abbiegt und in gerader Richtung durchs Venn über die kahle Höhe von „Houschelt“ nach Conzen hinführt. Das einzige Bemerkenswerte, was man unterwegs antrifft, ist einer der zahlreichen Versuche, das Venn mit Wald zu überdecken, nämlich eine bedeutende Strecke Venn ist hier linker Hand am Abhang des nahen Callbaches mit jungen Nadelholzbäumchen bepflanzt, über deren Aufkommen und Gedeihen sich im Moment noch wenig sagen läßt. Übrigens ist dieser Weg im Sommer bei heiterer Witterung eben so angenehm, wie im Winter unangenehm. Am nördlichen Saume des Dorfes Conzen, bei den Häuser am  „Entenpoul“, überschreitet man den in der Nähe entspringenden Callbach und erreicht sodann mit wenigen Schritten die Trier - Aachener - Landstraße, die man aber bald wieder verläßt um der Conzener Kirche zu zuschreiten.

   Conzen ist Dir ebenfalls, wie ich weiß, von verschiedenen, dem dortigen Kirchenpatron (dem hl. Pankratius)  abgestatteten Besuchen so ziemlich bekannt. Den Weg von Conzen nach Mützenich führt an der Kirche des ersteren Ortes vorbei und sodann am linken Ufer des Laufbaches hin durch Ackerland, welches letzteres aber anscheinend nicht viel Fruchtbarkeit aufzuweisen hat. Ungefähr auf halben Wege tritt man in das Thal des Laufbaches hinein, welcher Fluß, obgleich nahe beim Dorf Conzen an dessen Nordseite erst entsprungen ist, hier schon so stark ist, daß er bedeutende Teiche bilden und gewerbliche Anlagen treiben kann. Nachdem man den Laufbach mittels einer kleinen hölzernen Brücke überschritten hat und an ein dort befindliches zu ländlichen Zwecken dienendes Haus vorbei gegangen ist, fängt der Weg ziemlich stark bergan zu steigen. Man erreicht auch bald das Gebiet der Gemeinde Mützenich, indes die Ansteigung immer fortdauert bis zur dortigen Kirche. Das Kirchdorf Mützenich bildet die jüngste Pfarrei des Montjoier Dekanates und gehört zur Bürgermeisterei Imgenbroich. Auch der westwärts von Roetgen gelegene Reinartzhof gehört mit Mützenich zur Bürgermeisterei Imgenbroich. Nur ein Theil desselben, und zwar der „Obere Hof“, ist nach Mützenich eingepfarrt, während der „Untere Hof“ nach Roetgen gehört (Man siehe auch in unserem „Lexikon von Roetgen“ des 2. Bandes, den Artikel „Reinartzhof“). 

   Die Kirche in Mützenich ist im Äußeren sowohl wie im Innern recht hübsch und einer näheren Besichtigung nicht unwerth. Altäre, Kanzel, Orgel usw. ist alles von Holz, aber recht geschmackvoll im gotischen Style gearbeitet, so zwar, daß das Eine mit dem Andren auf das Beste harmoniert. Auch ist die Kirche mit einem Blitzableiter versehen. Da das Dorf Mützenich sehr weitläufig gebaut ist, so befinden sich in seinem Bereiche ein unzähliges Maß an Straßen und Wegen, die größtentheils noch in ihrem wilden Urzustande da liegen und so den Wanderer aufs unfreundliche begrüßen. Vieles trägt noch zur Unbequemlichkeit des Weges bei, das viele fließende Wasser, woran Mützenich trotz seiner hohen Lage so reich ist, wie kein anderer Ort des Montjoier Landes. Es ist wirklich zum Erstaunen, wie bei dem geringsten Regenwetter fast jede Straße und jedes Gäßchen auch ihren Bach oder wenigstens ihr Bächlein aufzuweisen hat, welche keck und ohne Scheu dahin eilt und mehr oder minder große Zerstörungen der Wege hinterläßt.

   Eine andere auffallende Erscheinung und Eigenheit des Dorfes, die schon Kaltenbach nicht übersehen hat, sind die Steine (Siehe dessen „Regierungsbezirk Aachen“). Allenthalben an Straßen und an unbebauten Stellen findet man den Boden übersät mit großen und kleinen Steinblöcken, die ohne allen Zusammenhang miteinander, jeder für sich, lose auf der Erdoberfläche herumliegen und keinen anderen Nutzen gewähren, als das sie zum Straßenbau brauchbar sind. Wo der Boden in Acker- oder Wiesenland umgeschaffen (kultiviert) ist, sind sie freilich beseitigt worden. Der Boden ist hier, obwohl von den Einwohnern fleißig bebaut, nicht der fruchtbarste, wie man auch schon bei einer oberflächlichen Übersicht aus der Lage des Ortes erkennen kann. Nur auf die Hafersaat ist einige Rechnung zu machen. Das der Gemeinde Mützenich zugehörende Venn enthält reichhaltige Torfgruben, aus denen die Einwohner alljährlich, außer den zum eigenen Bedarf nötigen Torf, auch eine bedeutende Menge dieses vorzüglichen Brennmaterials zum Verkauf nach Montjoie und Eupen ausführen. Die das Dorf durchschneidende Landstraße von Eupen nach Montjoie, an deren Rande der die nämlichen Orte verbindende elektrische Telegraph hinzieht, trägt ungemein viel zur Belebung und zum Ansehen desselben bei. Von Eupen sowohl auch von Montjoie spazieren zur Sommerzeit die Einwohner vergnügungshalber des Sonntags nach Mützenich, die dort, wegen der hohen Lage herrschend Frische der Natur und anderer Annehmlichkeiten mehr zu genießen; aber auch abgesehen von diesen Besuchen, trägt die Straße in gewerblicher und nützlicher Hinsicht viel zur Hebung des Verkehrs durch Mützenich bei, und ohne dieselbe würde das Dorf ein Ort ohne alle Bedeutung sein. Gerade dieser starken Frequenz und dem Zusammentreffen der gebildeten Städter von zwei entgegengesetzten Seiten ist es auch zu danken, (zu beklagen können wir sicher nicht sagen)  daß das Mützenicher Volk sich durch eine viel größere Aufgewecktheit, stärkeren Witz des Geistes und überhaupt, wie man zu sagen pflegt, durch ein „flotteres“ mehr nach außen gekehrtes Leben vor den anderen „Monscheuern“ auszeichnet. Daß es dadurch glücklicher oder wohlhabender wäre, wollen wir keineswegs behaupten.

   Sobald ich meine Geschäfte in Mützenich abgemacht habe, schlage ich den Weg nach Imgenbroich ein, den Du zum Theil schon aus meinem ersten Brief kennst. Zuerst verfolge ich die eben besprochene Eupen - Montjoier - Poststraße, die selbstverständlich von hier nach Montjoie eine nicht geringe Senkung zu machen hat, denn Montjoie liegt, auf einer direkten Entfernung von kaum einer halben Stunde, wenigstens 800 Fuß tiefer als Mützenich. Die Straße geht anfangs von Mützenich bis zum Hofe Lauscheiderbüchel in einer Richtung, als wenn sie gerade auf Montjoie zuführen wollte. Dann aber wendet sie sich plötzlich nach Norden, hoch am rechten Ufer des Laufbaches hinziehend, doch auch allmählich tiefer gehend, bis sie endlich im Thale des Laufbaches, bei der in einem früheren Brief beschriebenen Brücke, die Trier - Aachener - Landstraße erreicht, sich mit dieser verbindet und sodann in umgekehrter (südlicher) Richtung der Stadt Montjoie zu geht. Beim Gut Lauscheiderbüchel oder Bauscheid hat man von der Eupen - Montjoier - Chaussee herab die schönste Aussicht auf die altersgraue Thalstadt Montjoie und die umliegenden Berge, von denen die Stadt gleich einem Gefangenen eingezwängt zu sein scheint.

   Den nun folgenden Theil des Weges, nämlich die Trier - Aachener - Landstraße vom Laufbache bis Imgenbroich, kennst Du schon aus meiner früheren Mittheilungen. Nachdem ich sodann  zu Imgenbroich vor dem Herrn Dechanten meine Amtsgeschäfte endgültig abgemacht habe, respektive abgemacht hatte, kehrte ich von dort über Conzen nach Roetgen zurück und meine Reise ist abgemacht, und mit ihr auch die Reisebeschreibung.    Fine!

   Schließlich muß ich noch eine Veränderung erwähnen, die in Bezug auf mein Amt als Dekanatsbote von Bedeutung ist, und im Laufe des vorigen Jahres eintrat. Der bisherige Dechant des Montjoier Dekanates, Herr Pfarrer Speckheuer zu Imgenbroich, wurde im vorigen Frühjahr durch oberhirtliche Erneuerung als Pfarrer nach Immendorf im Dekanat Geilenkirchen versetzt. Als Nachfolger in Dechantenamte ward sodann der Pfarrer Goller zu Simmerath gewählt. Das ist nun für mich sehr unbequem, denn jetzt muß ich mit meinem Rundgange gerade in der Mitte des Dekanats anfangen. Indem mir auch übrigens nicht viel mehr am ganzen Geschäft gelegen ist, (denn man verdient kaum so viel damit, als am täglichen Handwerk versäumt wird, und die Lust nach einer näheren Besichtigung der Gegenden des Montjoier Landes, die mich hauptsächlich zur Übernahme des Amtes verleitete, ist durch das öftermalige Bereisen  nun gestillt) so bin ich stark gesonnen, das Amt niederzulegen.

   Hiermit empfehle ich mich denn Deiner gewohnten Treue und Freundschaft mit dem wiederholten Wunsche, daß Dir meine Briefe soviel Vergnügen und Freude gemacht haben werden, als ich bei ihrer Zusammenstellung beabsichtigte. Auf ein baldiges persönliches Zusammentreffen hoffend, welches Du durch einen von mir schon lange erwartenden Besuch bei mir herbeiführen wirst,

     

     grüßt inniglich, Dein treuer Freund

               Hermann Josef Cosler.