Zehnter Brief:
Roetgen, den 13 November 1865
Lieber
Freund!
Ungeachtet,
daß ich mich beim Abschluß
des letzten Briefes bezüglich meiner Notizen über das Montjoier Land fest
vornahm, die Arbeit sehr bald fort zu setzen und zu vollenden, so hat das doch
nicht geschehen können, weil ich zu oft nicht dazu aufgelegt war, dann auch
ferner, weil ich mich seit der Zeit noch einer anderen „schriftstellerischen“
Arbeit unterzogen habe, nämlich der Abfassung einer Privatchronik und
Familiengeschichte. Über die Letztere werde ich Dir später noch mehr mittheilen.
Jetzt wollen wir die Beschreibung der Monschauerlandesreise wieder zur Hand
nehmen, an welcher, wie ich am letzten Datum des vorhergehenden Briefes sehe,
nun schon seit länger als zwei Monaten nichts mehr geschehen ist.
Sobald man
das Dorf Zweifall verlassen hat, oder besser noch, ehe man dasselbe erreicht,
sind die Beschwerden gebirgiger Wege zu Ende. Man befindet sich im Thale des
Vichtbaches, welches von hier aufwärts bis in die Nähe von Rott eine ziemlich
breite und gut kultivierte und fruchtbare Sohle hat. Die Seitenwände des Thales
sind aber beide mit üppigem Hochwald bedeckt. Die neue
Roetgen - Stolberger - Chaussee ist zur rechten Seite des Baches angelegt und
wird von Letzterem an einigen Stellen sehr in die Enge getrieben, so daß sie sich in das Schiefergestein des rechten Thalufers
hinein hat arbeiten müssen. An einer dieser Stellen trifft man eine
bergmännische Anlage, das heißt, es ist ein horizontal in den Berg hinein
angelegtes Gemäuer. Nachrichten über den besonderen Zweck und Erfolg dieses
Unternehmens kann ich aber nicht angeben. Die übrigens sehr bequeme Chaussee
führt einem in Zeit von einer kleinen Stunde nach Maulartshütte.
Dieses
Dörfchen, auch Mulartshütte, und häufiger noch kurzweg Hütte genannt, hat keine
Kirche noch Kapelle und keinen eigenen Geistlichen. Es gehört zum Pfarrverbande
Vennwegen und zur Bürgermeisterei Zweifall und macht von den übrigen Orten des
Kreises Montjoie dadurch eine Ausnahme, daß es gar
keine Waldungen besitzt. Wie das gekommen, ist
mir zurzeit noch unbekannt. Möglicherweise werden uns später die Studien
der Dr. Pauly davon in Kenntnis setzen. Es bildet den Mittelpunkt der
königlichen Oberförsterei Mulartshütte, deren Verwaltungsorgan oder Oberförster
früher seinen Wohnsitz in Zweifall hatte, seit dem 1. Mai diesen Jahres aber
das von der königlichen Regierung zu Aachen angekaufte Haus der Familie von
Forell, jetzt in Roetgen bewohnt. Die wenigen Häuser des Dorfes sind sehr nahe
beieinander gebaut, wodurch dem vor wenigen Jahren stattgehabten Brand ein wesentlicher
Vorschub geleistet wurde. Die damals abgebrannten neun Häuser stehen aber seit
einiger Zeit wieder neu aufgebaut und zwar viel schöner und bequemer als
zuvor.
Die
Einwohner ernähren sich, wie die von Zweifall und Rott von Viehzucht, Ackerbau,
Waldarbeiten und von Fabrikarbeiten in Aachen und Stolberg. Unterhalb
Mulartshütte zweigt sich von der Roetgen - Stolberger - Chaussee, welche mitten
durch das Dorf führt, eine andere Landstraße ab nach Vennwegen und Cornlimünster.
Mittelst einer steinernen und mit
Doppelbogen gebauten Brücke passiert diese den Vichtbach. Im vorigen Jahr oder
noch früher stürzte bei einer mittelmäßigen Wasserflut der Pfeiler dieser
Brücke, der in der Mitte des Wassers stand und die beiden Wölbungen stützte,
zusammen, wodurch die Brücke unterging und der Verkehr, namentlich mit
Fuhrwerk, wieder sehr erschwert wurde. Es hat sich darauf in Betreff der
Verpflichtung zum Neubau einen Streit entsponnen zwischen den Gemeinden
Vennwegen und Zweifall, der natürlich die neue Errichtung der Brücke wesentlich
zurückhält, so daß jene noch jetzt in Trümmern liegt.
Beim Dorf
Mulartshütte fängt das Thal aufwärts an sich noch zu erweitern. Oberhalb der
Neuenborn´schen Pulverfabrik und dem Einflusse des Lenzbaches verengt es sich
jedoch wieder, hier hört seine Sohle auf kultiviert zu sein und die Straße, als
ob sie sich vor der Einsamkeit des Waldes scheute, verläßt
den Fluß und steigt links den Scheiderücken zwischen
Vicht- und Lenzbach hinan dem Dorfe Rott zu. Da Dir das Dorf Rott ebenso gut
oder vielleicht noch besser bekannt ist, als mir, so werden topographische
Mittheilungen sicher überflüssig sein. Statt dessen
will ich Dir jetzt die versprochen „Karte“ des Kreises, respektive des Dekanats
Montjoie beifügen. Daß dieselbe ganz genau und exakt
und korrekt und unverbesserlich ausfällt, wirst Du hoffentlich nicht verlangen,
denn das Karten - Entwerfen geht aus dem Fache eines Handwerkers heraus.
Dieselbe soll ja doch nur dazu dienen, Dir das in meinen Briefen Mitgetheilte
besser zu veranschaulichen.
Erklärungen zur Karte, (siehe Karte und zwei
Copien):
N.B. Die blau schattierten Linien bezeichnen die
Grenzen. Flüsse und Bäche sind mit zarteren, sowie die Landstraßen und
Chausseen mit gröberen schwarzen Strichen bezeichnet. Die roth punktierten Linien
bedeuten die von mir gegangenen und in meinen Briefen beschriebenen Wege und
Straßen.
Roetgen, den 24. Febr. 1866
Hermann Josef Cosler