So sieht der Maler Rudolf Beilhartz den Unterhof:
Das Gemälde in Schmiedeeisen und Bleiverglasung entstand 1995. Der Betrachter schaut auf den
Unterhof. Dessen letzter Bewohner war Jean Braun. Unten im Bild sieht man einige markante
Gegenstände, so die Glocke, die über die Jahrhunderte die Wanderer im Venn auf den rechten Weg
zurück brachte. Sie hängt jetzt in der kath. Pfarrkirche in Monschau. Das Wegkreuz von 1918, das von
Elisabeth Braun (Dieters Urgroßmutter) errichtete wurde, trägt die Inschrift:
”Oh Wanderer sei eingedenk
der Abgeschiedenen,
die hier in dieser Einsamkeit gelebt.
Ehre Ihrem Andenken,
Friede Ihrer Asche.
Süßes Herz Maria sei meine Rettung.
Mein Jesus, Barmherzigkeit.
Gewidmet von Fam. Braun - Neicken 1918”.
Ferien auf dem Reinartzhof
Dieter Fischer
Endlich einmal kein Benzingeruch, keine Geräusche, die ablenken von dem, was ich
sehen und riechen möchte: Natur, Geschichte, erlebtes Leben. All dies will ich
versuchen, in Worte zu fassen.
Die Beziehung zu Reinartzhof ist eine gewachsene, durch Familienbande natürlich
entstandene. Reizvoll vor allen Dingen auch die Jahreszahl 1334.
Doch das Selbsterlebte, gerade aus den Kindertagen, hat sich tief und auf Dauer
eingeprägt. Erst einmal der lange Weg aus dem Dorf herauf über Schwerzfeld, einer
kleinen Himmelsleiter. Zu Fuß auf kurzen Kinderbeinen hieß es, den Weserbach zu
überqueren. Die Brücke war durch den Krieg zerstört. So hatten findige Leute zwei
Tannenbäume als Steg über den Bach geschlagen. Zwei dürre Holzstangen, an den
dünnen Enden zusammengebunden, dienten als Handlauf; damit war die erste
schwankende Hürde genommen. Der Schotterweg führte weiter in den Tannenwald,
wenn nicht gerade Stürme Bäume gefällt hatten, die wiederum den Weg versperrten, für
den Fußgänger aber kein großes Hindernis waren. Nach ein paar langen Schleifen
durch niederen Mischwald konnte man schon die ersten Wiesen sowie auch den Hof der
Großeltern zwischen den Bäumen erkennen. Kindliche Aufregung machte sich breit,
wollte ich doch vierzehn Tage Ferien dort verbringen. Noch einige hundert Meter und es
war geschafft. Wie durch ein Eingangstor in einen Dom betrachte ich heute noch den
Laubhochwald, der den Blick auf die Enklave Reinartzhof freigab. Bucheckern als erste
Zwischenmahlzeit sagten mir: es ist geschafft. Ein Steinkreuz der Vorfahren aus dem
Jahre 1918 war das nächste beeindruckende Zeugnis von Reinartzhof. Eine kleine
Anlage mit einer niedrigen Buchenhecke umfriedete das Kreuz, bei der die Hecke so
geschnitten war, dass sie das Kreuz selbst wie ein Chorgewölbe überdachte. Töne, die
man glaubte zu hören wie einen Choral der Jahrhunderte, Aussagen der Geschichte, die
nur der versteht, der sich mit einem Leben in dieser doch so lebendigen Einöde
identifizieren kann.
Jahrhundertealte Buchen säumten eingangs den Weg, gleich Säulen einer Kathedrale.
Eine gewisse Ehrfurcht machte sich breit. Rechts und links des Weges gemischte
Hecken aus Weißdorn, Hainbuchen, Haselnuss und hier und da auch wilde
Stachelbeeren, die seltsam behaart waren.
Es hat mich immer wieder dorthin gezogen bis auf den heutigen Tag, wollte ich doch
diese Stille erleben, das Wild bei der Äsung beobachten und auch einmal mit dem Opa
auf die Jagd gehen. Ein Erlebnis erster Güte. Morgens zwischen drei und vier Uhr
aufstehen, durch den Großvater geweckt. Anziehen bei Kerzenlicht. In der Küche
angekommen ein kleines Essen mit einer Tasse Milch mit Honig, alles im Halbdunkel
der Petroleumlampe. Gummistiefel, ein kleiner Rucksack und warme Kleidung waren
das Rüstzeug. Der Großvater nahm seinen Drilling und Patronen sowie das Fernglas
und wir gingen wortlos über die Wiesen in den Wald. Hinter den Hecken wurden vor der
Pirsch Laub und trockene Äste weggeräumt, hätte doch das Knacken der Äste und
auch unnötiges Rascheln uns verraten; eine Arbeit wie das Bauen und Ausbessern der
Hochsitze eine Jagd erst ermöglichen. Der Eichelhäher als Polizist des Waldes verhielt
sich Gott sei Dank ruhig. Vorsichtig stiegen wir den Hochsitz hinauf An allen vier Seiten
war eine Luke angebracht. Der Specht als Frühaufsteher hämmerte schon.
Eichhörnchen huschten wie Spione hier und da durchs Geäst. Alles irgendwie
unheimlich und doch vertraut. Mit etwas Glück, den richtigen Hochsitz gewählt zu
haben, bekamen wir das erste Rotwild zu Gesicht. Vorsichtig und aufmerksam betrat
das Leittier die Lichtung, andere Tiere folgten. Wir selbst vermieden jedes Geräusch in
dieser Spannung. Irgendetwas muss die Tiere jedoch vergrämt haben, so war die
Lichtung schnell wieder leer. An diesem Morgen haben wir kein Rotwild mehr gesehen
und doch war es ein Erlebnis. Auf dem gemütlichen Nachhauseweg erzählte der
Großvater einige Anekdoten von der Jagd und vom Leben auf Reinartzhof. Aus alledem
konnte ich entnehmen, dass der Jäger auch Heger und Pfleger sein muss.
Durchgefroren kamen wir wieder nach Hause, noch rechtzeitig zu einem ausgiebigen
Frühstück: belgisches rundes Weißbrot, Speck und Ei, hausgemachter Schinken, Wurst
aus dem Glas und Pflaumenmarmelade. Zusammenfassend war es ein gelungener
Morgen.
Draußen vor der Tür stand eine einfache Holzbank, auf der ich die ersten Gedichte
schrieb, leider sind diese mir abhanden gekommen. Drei Kastanien hinter dieser Bank,
für mich ein Wahrzeichen des Unterhofes, stehen heute noch 45 Jahre nach Verlassen
dieser Enklave. Dass dieser kleine Ort wie zu einer Wallfahrt einmal im Jahr zu
Pfingsten besucht wird, ist den Pfadfindern aus Raeren und der Forstbehörde zu
verdanken.
Einen Tag nur auf diesem Gehöft, so begleitet er doch das ganze Leben.