Der Zeitzeuge Walter Vogel  berichtet aus seinen Erinnerungen: Kriegsende in Roetgen Heimkehr nach der Entlassung                                                                                                                       Aufzeichnungen von Walter Vogel
Am 14.8.1944, ich werde aus dem Res. Lazarett Eupen entlassen, bleibe noch einen Tag in der Stadt und treffe am 15.8.1944 abends gegen 6 Uhr Zuhause ein. Auf dem Zwischenbahnhof Raeren musste ich umsteigen in den Zug, der über Roetgen hinaus in die Eifel fuhr (Vennbahn). Da aber der Anschluss noch auf sich warten ließ, begab ich mich in den Wartesaal. Dort traf ich zwei Schulkameradinnen (Namen und Funktion der Ehemänner bei der Wehrmacht sind aus einem bestimmten Grund gelöscht). Nach einer freundschaftlichen Begrüßung, stellten beide die Frage an mich: "Was ich vom Krieg halte". Meine Antwort: "Der Krieg ist verloren, seht zu, mit den Kindern und allem andern nach Hause zu kommen." "Nein, meine Ansicht sei vollkommen abwegig, der Führer habe da eine Geheimwaffe, die V2, die, sobald die Alliierten noch etwas weiter seien, eingesetzt würde, die Amis ins Meer werfe, so sei der Schlag vollkommen. Sie würden sich von diesem Gegenschlag nicht mehr erholen. Unsere Unterhaltung setzte sich im Zuge fort. Sie gingen zu ihrer Mutter in der ……...-straße, ich zu meinem Vater und meiner Schwester zum Hause Greppstraße 130a. Mutter war im Januar gestorben, meine drei Brüder standen im Felde, Helmuth und Fritz in Russland, Willi in Norwegen. Kaum zu Hause, erschien Albert, mein Onkel, der mit Tante Hedwig auf Mieschens Berg wohnte. Nach der Begrüßung die Frage: "Was hältst Du vom Krieg?" Meine Antwort war die gleiche. Sofort entwickelte er Pläne, hatte schon einen Platz für eine Unterkunft im Walde, an der "Kupferstraße" in "Gelterich", ca. 500m vom Forsthaus Mertens entfernt, der so gelegen war, dass nach mehreren Seiten Ausweichmöglichkeit bestand, sofern es um Roetgen längere Kämpfe geben sollte. Dass evtl. Eile geboten sein konnte, hatte Albert vom Sender BBC in deutscher Sprache. Um diese Zeit standen die Alliierten bereits bei Brüssel. Sein Plan war nicht schlecht, ihn in die Tat umzusetzen, gar nicht so einfach. Was musste nicht alles bedacht und besorgt werden? Bau der Unterkunft: Dass eine solche gebaut wurde, daran bestand kein Zweifel, auch nicht daran, diesen Plan sofort in die Tat umzusetzen. Lediglich Größe und die Heranschaffung des notwendigen Materials waren Probleme. Unterzubringen waren: Onkel Albert Vogel, Tante Hedwig Cremer, geb. Vogel, Onkel Eugen Vogel und Tante Emma geb. Cremer, Karl Mathée mit Ehefrau Selma und den Kindern Alice und Inge, Paul Meyer und Frau Emma geb. Vogel, sowie mein Vater, August Vogel, meine Schwester Anneliese und ich. Albert hatte für das Material: Balken, Bretter, Fenster, Tür. Dachpappe gesorgt. Transportiert werden sollte alles mit Pferd und Wagen von der Barbara Krott, geb. Johnen, an der Wollwasch. Ich übernahm es mit Barbara zu reden. Barbara sagte sofort zu, unter der Voraussetzung, Barbara und Sohn Franz-Josef im Notfalle aufzunehmen. Durch den schnellen Vormarsch wurde dies nicht erforderlich. Mir bereitete das Anschirren und Fahren keine Schwierigkeit, da ich als Soldat der Gebirgsartillerie den Umgang mit Pferden gewohnt war. Material kam von der Baustelle der Eheleute Meyer in der Nähe des Albert gehörenden Hauses an der Bundesstraße, Richtung Münsterbildchen. Weiteres kam von Karl Mathée und uns. Aber noch war's nicht soweit. Täglich kamen Nachrichten (englische) vom Vormarsch der Amis. An dem Bau war ich nicht beteiligt. Papa, Albert und Karl waren Handwerker und schon abends stand alles, selbst eine Bank lud zum Verweilen ein.
Evakuierungsbefehl und Einzug in die Waldunterkunft: Am 1.9.1944 musste ich nochmals nach Monschau zur Musterung und wurde für weitere fünf Jahre zurückgestellt. Welch eine Verkennung der Situation! Die Tage, sehr sonnige, vergingen. Die Front kam ständig näher. Ende August und bis zum 12. September fluteten die deutschen Truppen ungeordnet, teilweise mit drei oder vier Personen zusammen, zu Fuß, zu Pferd, auf Wagen und ähnlichen Fahrzeugen, auch auf Fahrrädern, zurück - eine zerschlagene, zerrissene Armee, wohl kaum noch des Widerstandes fähig. Abends am 11.9.1944 besuchte mich Leo Johnen (Sohn von Laurenz und Helene geb. Barth). Er lag mit mir im Res. Lazarett Eupen, das zwischenzeitlich nach Stendal verlegt war wegen der Feindnähe. Er hatte Räumungsurlaub. Da ein heftiges Geknatter von der Grenze (Raerenerstraße) zu hören war und dort Rauchwolken aufstiegen, gingen wir näher, kamen in die Gaststätte Steinbeck (Petergensfeld). Dort erfuhren wir, dass ein mit Munition beladenes Fahrzeug beschossen worden sei. Die Soldaten seien aber geistesgegenwärtig abgesprungen, in die als Deckung dienenden Straßengräben. Mitten in der Nacht, morgens gegen 1:30 Uhr, am 12 September, holte Schwester Anneliese mich aus dem Bett. Erna Schröder geb. Steffens war unten. Sie teilte uns mit - die andern Verwandten waren auch schon da - Roetgen würde geräumt. Auf meine Frage: "Freiwillig, oder nicht?", antwortete Erna: "Freiwillig". Sie ging. Allgemeine Ratlosigkeit breitete sich aus. Wir blieben jedoch bei unserer Meinung und blieben. Viele aber zogen es vor und gingen in dieser Nacht aus dem Ort nach Osten ins Reich. In dieser Nacht schleppten alle ihre notwendigen Habseligkeiten in den Wald. Ich selbst war wohl als erster unterwegs. Im Pilgerborn hörte ich Schritte hinter mir, trat zur Seite und wartete. Leo war's. Seine Mutter (Barths Len) hatte ihn geschickt, um mich zu fragen, was er machen sollte. "Uniform aus, hinein in den Wald", war meine Antwort. Ihm erklärte ich, wo unsere Bude war, dort könne er unterkommen. Leo ging, ich ebenfalls, jedoch in entgegengesetzter Richtung. Ehe es hell wurde, waren alle mit allem da. Mich trieb's gegen 10:00 Uhr ins Dorf. Hatte Auftrag, bei allen nach dem Rechten zu sehen. Fing bei Onkel Eugen an, drehte mich in Mieschens Berg um, sah über "Pessevenn" die Amis mit Panzer kommen. Verständigte die im Graben liegenden deutschen Soldaten und ging mit ihnen ins Haus von Tante Hedwig, wo wir einem Feldwebel Mitteilung machten, den dies nicht sonderlich erregte. Ich ging aber, hinter Hecken Schutz suchend, zurück in den Wald, wo meine Aussage auf Zweifel stieß. Mit Vetter Paul Meyer, der mit Frau Emma (Tochter von Onkel Fritz Vogel) bei uns war, stieg ich auf eine hohe Tanne, von wo ein Überblick alle Zweifel beseitigte. Sie waren da, die Amis, und schon bald setzte heftiges Schießen aus schweren Waffen ein. Nach dem Mittagessen kam Leo, der bei uns Schutz suchte. Neugierig gingen wir zur Siedlung Pilgerborn. Da kamen sie mit Panzern, rechts und links Infanterie, machten an der Einmündung Pilgerbornstraße "Halt" und schauten zu uns herüber, dort standen ca. 10 Personen. Leo anstoßend, ging ich hinter die dort stehenden Häuser und mit ihm zurück. Eine Nacht blieben alle im Walde. Gegen Mittag des 13.9.1944 setzten wir uns in Richtung Wohnung in Marsch, ohne von irgendjemand behelligt zu werden. Der Krieg, so schien es, war aus. Wir hatten ihn überstanden.
Oft hat man mich in der Folgezeit einfach auf der Straße in einen "Jeep" geladen und zur Vernehmung gefahren, Entlassungspapiere kontrolliert und wieder nach Hause gefahren. Nach einer Woche, die Amis hatten gemerkt, dass viele, besonders junge aber auch ältere Leute evtl. Soldaten sein konnten, mussten sie sich melden und kamen in Gefangenschaft, auch Leo. Mich aber ließ man unbehelligt, mit Ausnahme der fast ständigen Verhöre. Jahrzehntelang war mir dies ein Rätsel. Doch 1980 erfuhr ich, alle die vor der Invasion entlassen waren, blieben. Ich war am 30.4.1944 aus der Wehrmacht entlassen, blieb aber wegen meiner Erkrankung (Kriegsbeschädigung) als Zivilist im Lazarett. Die Amis benahmen sich korrekt, lediglich die gebliebenen "Nazis" kamen in Internierung und erst sehr spät nach Kriegsende zurück. Durch die Kämpfe im Hürtgenwald sammelten sich ständig mehr Soldaten in Roetgen. Die Zivilbevölkerung drängte man zusammen auf ca. 1/3 des Wohnraumes, und selbst da waren noch Soldaten in Quartier.