Roetgen und der Straßenstern:
Bemerkungen von Guido Minninger
Wer sich einmal mit Roetgener Geschichte befasst hat, dem wird der Inhalt des folgenden
Abschnittes sicher bekannt sein. Lesen Sie ihn ruhig einmal durch, und danach wollen wir
uns gemeinsam dazu einige Gedanken machen:
"…Schon zur Römerzeit wies Roetgens Raum einen bedeutenden Straßenstern auf. Hier
kreuzten wichtige Verkehrswege nach Xanten über Aachen nach Trier und von Düren über
Stolberg nach Eupen und Lüttich…"
So gefunden in "Roetgen wie es war" auf Seite 5.1
Auch die Autoren der Broschüre der Gemeinde Roetgen "Informationen für Gäste und
Bürger", Ausgabe 2010/2011, brachten diese Erkenntnis zu neuen Ehren mit etwas
abgewandeltem Wortlaut: "Schon zur Römerzeit wies Roetgens Territorium einen wichtigen
Straßenstern auf. Hier kreuzten wichtige Verkehrswege von Xanten über Aachen nach Trier
und von Düren über Stolberg nach Eupen und Lüttich."
Wenn Sie in den Jahrbüchern des Monschauer Landes nachschauen oder in dem noch älte-
ren "Eremit am Hohen Venn", so finden Sie ähnliche Passagen auch bei schon verstorbenen
Autoren. Es wurde versucht, den Ursprung bzw. den Urheber dieser Aussage
herauszufinden. Das war gar nicht einfach, da es früher unüblich war, Texte durch Quellen
zu belegen. In der Heimatforschung wurde durchweg viel abgeschrieben.
Letztendlich fanden wir in einem handschriftlichen Skript unseres kath. Pfarrers Carl
Corsten, der in Roetgen von 1911 bis 1923 amtierte, ebenfalls diese Aussage. Man kann ihn
als eigentlichen Produzenten der Idee vom römischen Straßenstern betrachten. Pfarrer
Corsten hat damals schon über Heimatgeschichte geschrieben und auch eine Pfarrchronik
begonnen, die aber nie druckreif wurde. In seinem späteren Leben hat er auch Geschichte
studiert, eine Dissertation geschrieben und erhielt dadurch den Titel eines Prälaten.
Was er da beschrieb, ist eigentlich als eine Straßenkreuzung zu bewerten, aber niemals als
Straßenstern. Ein Straßenstern ist etwas, was sich in Berlin an der Siegessäule befindet
oder in Paris am Arc de Triomphe. Auf jeden Fall hört es sich aber sehr gut an!
Nun war leider die Streckenführung der römischen Straßen etwas anders, als es Pfarrer
Corsten beschrieb. Die berühmte Kreuzung war nicht in Roetgen, sondern in Zülpich. Hier
kreuzten sich die Straßen von Xanten nach Trier (über Jünkerath, Bitburg) und die Straße
von Köln über Lüttich nach Boulogne-sur-Mer. (Das war auch nur eine Kreuzung und nicht
etwa ein Straßenstern.) Die Straße von Köln nach Lüttich ging im heutigen Herzogenrath an
Aachen nördlich vorbei. Ich will ja keinem Öcher zu nahe treten: aber selbst bei weiteren
römischen Bodenfunden wird Aachen nie den Stellenwert von Trier, Köln oder Xanten in der
römischen Welt einnehmen. Allein, dass die Trassenführung der nördlichen Straße Aachen
nicht berührte, ist ein deutlicher Hinweis dafür. Auch fehlen sonstige schriftliche Hinweise
aus der römischen Zeit zu Aachen. Aachen war höchstwahrscheinlich aufgrund seiner war-
men Quellen ein Lazarett oder Hospital, höchstens ein Heilbad für rheumageplagte römische
Legionäre, die sich das Zipperlein im ewig feuchtkalten germanischen Wetter zugezogen
hatten.
Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana : Römerstraße Trier-Köln2
Kommen wir zu der erwähnten Streckenführung von Trier nach Aachen. Es gab zwar in Nord-
Süd-Richtung die so oft erwähnte Kupferstraße. Man weiß allerdings nicht, ab wann sie
existierte oder genutzt wurde; ebenso ist die genaue Streckenführung unbekannt. Gebaut, wie
die erwähnten Römerstraßen 1. Klasse, war sie schon gar nicht. Der Bedarf hierzu war in
römischer Zeit noch nicht gegeben. Die Straße von Trier nach Aachen wurde erst im
Hochmittelalter interessant, als in Aachen die Heiligtümer "wiederentdeckt" wurden.
Man sollte sich einmal die ersten urkundlichen Erwähnungen der im Text genannten Städte
anschauen. Im Internet bei Wikipedia erfährt man Folgendes: Ganz ohne Zweifel blicken Trier,
Köln, Xanten und Boulogne-sur-Mer auf eine 2000 Jahre alte Geschichte zurück. Lüttich ist
das alte Vicus Leodicus, also auch römisch. Ebenso ist das zu Düren gehörende
Arnoldsweiler ein uralter Siedlungsplatz. Von Düren selbst weiß man nur von einer
merowingischen Saalkirche, die auf etwa um 700 datiert wird, aber es gibt keinen Hinweis auf
die Römer. Stolberg ist 1188 erstmalig erwähnt, Roetgen 1475 und Eupen taucht bereits 1213
in den Urkunden auf. Anno 410 zog Rom seine Truppen vom Rhein ab, und ab 458 können
wir uns als fränkisch besetzt betrachten. Kommt einem da nicht auch der Gedanke, warum ein
Römer den Weg von einem nicht existenten Düren über ein nicht existentes Stolberg und ein
nicht existentes Roetgen durch das unerforschte Venn hin über das nicht existente Eupen in
Richtung des realen Lüttich genommen haben soll? Wo doch in Höhe von Herzogenrath eine
erstklassig ausgebaute Römerstraße I. Klasse bestand, die auch noch durch Bodenfunde
bewiesen ist und an der es alle paar Meilen ein einladendes Gasthaus gab, wogegen er sich
hier noch von Liane zu Liane hätte hangeln müssen!
Meines Erachtens ist deshalb unser "wichtiger römischer Straßenstern" einer dieser Irrtümer,
die einmal gedruckt und zweimal zitiert nicht mehr aus der Weltgeschichte herauszukriegen
sind. In der nächsten Auflage eines Gemeindeprospektes werden Sie unserem "Stra-
ßenstern" wahrscheinlich wieder begegnen. Zu Pfarrer Corstens Zeiten wurde vieles als rö-
misch bezeichnet. Heutzutage ist es noch besser, sich auf keltische Wurzeln berufen zu
können. Dabei hat das Alter einer Stadt oder eines Dorfes eigentlich keinerlei Bedeutung für
den aktuellen Stellenwert. Roetgen ist in der letzten Siedlungsperiode des Spätmittelalters
gegründet worden. Wenn man die Entwicklung des gesamten Monschauer Landes betrachtet,
dann hat das alles seinen tieferen Sinn. Es muss nicht immer römisch sein. Ob aber jemals
dieser ominöse Straßenstern, dessen Bestand so unlogisch wie nur möglich ist, aus unserer
Geschichte entfernt werden kann? Dafür sehe ich schwarz - rabenschwarz!
Karte der Römerstraße "Via Belgica" , mit der Position Roetgen
3
Boulogne-sur-Mer/Bonen (Gesoriacum), Thérouanne/Terwaan (Colonia Morinorum),
Arras/Atrecht (Atrebatum), Cambrai/Kamerijk (Cameracum), Bavay/Beuken
(Bagacum), Liberchies (Geminiacum), Tongeren (Atuatuca Tungrorum), Maastricht
(Mosa Trajectum), Heerlen (Coriovallum), Jülich/Gulik (Iuliacum) und Keulen (Colonia
Claudia Ara Agrippinensium)
1 E. Klubert, F. Schartmann: "Roetgen wie es war", 1982
2 Römerstraße Trier-Köln: gemeinfrei;
3 File:Via Belgica-kaart.png, public domain;