Die Linde an der Marienkapelle
Von Rolf J. Wilden
Besucht man die Marienkapelle "im Dorf", wie dieser Ortsteil bei unseren Vorfahren früher hieß, so
trifft man - linker Hand - gleich am Eingang
zum Gelände auf eine imposante Linde,
die den südlichen Teil des Areals vom
Frühling bis in den Herbst in ein schattiges
Grün taucht. Sehr gut sichtbar erblickt man
gleich am Stamm der Linde ein kleines
Schild, das den Baum als sog.
Naturdenkmal ausweist.
Im Erläuterungsbericht zum Flächen-
nutzungsplan 2005 der Gemeinde
Roetgen ist die Linde unter Nr. 49 als
"Sommerlinde" deklariert. Seit dem
16.06.1958 steht sie unter Denkmalschutz.
Sie hat in Roetgen keinen besonderen
Namen; ich nenne sie einfach "Dorflinde".
Im Gegensatz zu den Bäumen unserer an-
deren Naturdenkmäler (Rakkesch, Platte
Eech) macht dieser Baum einen ausgesprochen gesunden Eindruck auf mich: Es gibt keine kahlen
Stellen, keine abgebrochenen Äste, die
Rinde sieht gut aus und der Baum ist ein
echtes Prachtstück!
Man fragt sich natürlich sofort: Warum ist
dieser Baum ein Naturdenkmal? Die
Schönheit alleine wird es wohl nicht sein.
Man vermutet schnell: Das kann wahr-
scheinlich nur das Alter sein. Anderseits, so
richtig alt sieht dieser Baum nicht wirklich
aus. Linden werden bekanntlich sehr alt, und
mit dem Bild 1000-jähriger Linden vor dem
inneren Auge versuche ich, irgendetwas zu
entdecken, was mir mit dem Alter weiterhilft.
Als erstes fallen mir alte Fotos ein. Wenn
man jedoch bedenkt, dass Fotos erst seit der
Mitte des 19. Jahrhundert existieren, bringt
uns das nicht wirklich weiter. Das älteste mir
bekannte Foto von unserer Marienkapelle mit
einer Linde stammt von 1915. Es zeigt den
alten Baum noch vor der früheren Mauer um
das Gelände, deutlich schlanker als heute, aber doch bereits sehr ansehnlich. Der untere Teil
des Stammes verzweigt sich schon sichtbar in die Erde. Der Wulst von heute ist aber noch
nicht vorhanden. Verglichen mit mir bekannten Linden von heute war der Baum damals
bestimmt schon mindestens 200 Jahre alt.
Da die geografische Lage von Roetgen und das Klima
einen starken Einfluss auf das Wachstum der hiesigen
Bäume haben, ist es sicher nicht abwegig, den Umfang des
Baumes mit mir bekannten anderen Linden im Dorf zu
vergleichen, von deren Entstehung mir berichtet wurde
oder von denen ich weiß, wann sie ungefähr gepflanzt
wurden. Ich schätze den Baum heute auf 200 bis 300
Jahre. Ob er allerdings schon beim Bau der Kapelle (1660)
gepflanzt wurde, wie manche vermuten, kann man heute
nicht mehr sagen.
Eine Linde ist natürlich nicht einfach eine Linde. Man
unterscheidet die verschiedensten Arten, und deshalb war
ich etwas verwundert über die Bezeichnung
"Sommerlinde", mit der der Baum bei der unteren
Landschaftsbehörde registriert ist. Ist das wirklich eine
Sommerlinde, fragte ich mich? Sommerlinden sehen für
mich anders aus! Sie zeigen eine abgerundete Oberfläche
in ihrer Erscheinung, aber vielleicht ist das bei alten
Bäumen ja anders. Mehr Klarheit brachte ein Blick in die
einschlägige Literatur: An den Blättern, Blüten und Früchten
kann man sie auseinander halten, die sog. Sommer- und die Winterlinden .
Sommerlinden haben behaarte Blätter und
Stiele; unsere Linde hat das eindeutig nicht.
Die Blätter der Winterlinde sind
verschiedenfarbig; die Rückseite ist heller
(grauer) als die Vorderseite. Das Bild zeigt
eindeutig den Farbunterschied bei unserer
Linde. Die Früchte (Nüsse) der Sommerlinde
sind hart und profiliert; unsere Linde hat fast
runde Früchte, und sie sind weich (sie
lassen sich mit den Fingern zerdrücken). Mit
einer Untersuchung der Blüten kann ich z.Z.
nicht aufwarten, da wir Herbst haben. Ein
weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die
Blattgröße: Die Blätter der Sommerlinde sind
deutlich größer als die der Winterlinde.
Es ist also ziemlich klar, dass es sich bei
unserer Dorflinde um eine Winterlinde handelt. Es wundert mich schon, dass das bisher
niemandem aufgefallen ist. Das tut dem Vergnügen jedoch keinen Abbruch; unser
Naturdenkmal ist uneingeschränkt schön und erhaltenswert!
GPS-Position der Dorflinde: 50°39´01´´N; 6°11´59´´O