Platte Eech - ein vergessener Ort:
Roetgen - rundum Wald, das gilt auch heute noch, wie ein Blick von oben auf das Stavelot-
Venn Massiv uns sofort zeigt. Mitten auf diesem von SW nach NO streichenden Gebirgszug liegt
unser schönes Dorf. Dabei ist die "Roetgener Mulde"
etwas nach NW geneigt, was uns den regenreichen
Winden aus NW verstärkt aussetzt. Roetgen liegt
geographisch eindeutig mitten im "Hohen Venn", was
auch die vielen Flurnamen mit Bruch, Sief oder Venn
vielsagend dokumentieren. Auch die Geologie des Dorfes
ist neben den sumpfigen Niederungen eindeutig durch
kambrischen Schiefer und Quarzite bestimmt. Am besten
erkennt man das, wenn man den Tälern der drei
Hauptbäche Weser, Roetgenbach und Schleebach
einmal mit offenen Augen folgt. In den umgebenden
Wäldern verborgen, liegen einige unserer sog.
Naturdenkmäler.
Das bekannteste ist "Rakkesch". Es liegt auf der
Rackerscheider Hut, einem Distrikt im Osten von
Roetgen; sein Name klingt wie dieser alte Flurname und
wahrscheinlich gibt es irgendeinen Zusammenhang . Fast
niemand kennt jedoch "Platte Eiche" oder in Mundart
"Platte Eech". Heute führt kein Weg mehr dorthin. Nur ein
unscheinbarer Stein am linken Rande des Roten Weges
in Richtung Lammersdorf markiert die Stelle, wo irgendwo
südlich dieser geheimnisvolle Ort liegt. Wenn man Geschichten oder in der geschichtlichen
Literatur nach Informationen über diesen Platz sucht,
so muss man bald aufgeben. Bei Cosler , unserem
Dorfchronisten , waren Naturdenkmäler oder so
etwas ähnliches kein Thema. In seinem "Lexikon"
erfährt man unter "Forstwesen" viele interessante
Dinge über den Roetgener Wald; u.a. dass unser
Gemeindewald erst seit 1823 existiert. Vorher
gehörte er zu dem riesigen Reichswald - dem
Comitatus Nemoris - der früher unser Gebiet vom
Rhein bis in die Ardennen bedeckte. Wie allgemein
bekannt, stammen die vielen Fichten in unserem
Forst aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie
wurden in den 1840ger Jahren auf Druck der
Preußischen Regierung gegen den Willen der
Bevölkerung hier angepflanzt. Im Aufsatz "Historischer Waldbestand gerettet" von Hermine Wolf
wird geschildert, wie es gelingt, einige Stellen Laubwald zum Hüten der Kühe, dem Gewinn von
Sträußel und Gras für die ansässigen Bauern zu retten. Hier wird auch "Platte Eiche" erwähnt.
Warum dieser Platz so heißt, und wie lange er schon als Besonderheit existiert, ist natürlich eine
interessante Frage. Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm gibt es den Begriff
"Plattbaum". Darunter versteht man einen Baum, der an der Spitze abgeplattet und mit Leimruten
zum Vogelfang versehen wurde. Das zugehörige Verb heißt "plattnen" für das Fangen von Vögeln.
Bei unserem Dorf-Chronisten Cosler wird zumindest erwähnt, dass die hiesigen Vorfahren den
Fang von Krammetsvögeln mit Leidenschaft betrieben. Platte Eech könnte nach dieser Theorie ein
Platz zum Vogelfang gewesen sein. Ob das allerdings wirklich so war, bleibt z.Z. noch im Dunkel
der Geschichte verborgen.
Von Cosler erfahren wir weiter, dass Esche, Birke und Eiche damals in unseren Wäldern
vorherrschten. Buche kam zwar vor, war aber im 19. Jahrhundert schon seltener. Das hatte sicher
damit zu tun, dass die Buche eine lange Zeit der "Lieblingsbaum" der Köhler und Pottaschebren-
ner war. Erst als die Eifeler Eisenproduzenten die Steinkohle entdeckten und nach und nach ins
Ruhrgebiet zogen, sowie auch die heimische Textilindustrie, die Seifensieder, als auch die
Glasproduzenten ihre Prozesse von Kaliumcarbonat auf Natriumcarbonat umstellten, fand der
Raubbau an unseren Wäldern erst einmal ein Ende. All diese Manufakturen kamen durch den
technischen Fortschritt zum Erliegen, und die Buche konnte wieder Land gewinnen. Es macht
deshalb Sinn, dass Esche und Eiche in den Namen unserer Naturdenkmäler vorkommen und nicht
die Buche. Das bedeutet natürlich nicht, dass dort keine Buchen wuchsen. Ob die Exemplare, die
in unserer Jugendzeit dort noch standen, allerdings 500 Jahre und älter waren, möchte ich
bezweifeln. Auch eine 100 bis 200 jährige Buche kann gewaltige Ausmaße annehmen, wie die
etwa 100 jährigen Buchen im Osten von "Rakkesch" heute zeigen.
Heutzutage findet man im Flächennutzungsplan von Roetgen eine Naturdenkmal-Liste, die
anzeigt, dass unsere Naturdenkmäler seit dem 16.06.1958 offiziell geschützt sind. Leider ist nicht
beschrieben, was geschützt ist, und die angegebene Anzahl der Bäume ist ungenau oder veraltet.
Die Autoren haben sich wohl nicht die Mühe gemacht, mal genauer nachzusehen.
Unabhängig von ihrem Ursprung und ihrer Geschichte kämpfen unsere Naturdenkmäler heute
mit ganz anderen Problemen. Im Laufe der 60ger und 70ger Jahre des vorigen Jahrhunderts kam
es zu einer starken Schädigung unserer Wälder durch "Sauren Regen", wie es damals hieß. Die
Zerstörungen an den Buchen z.B. auf "Rakkesch" wurden so stark, dass die Forstverwaltung 1970
zu Gegenmaßnahmen schritt. Das hatte allerdings nicht den gewünschten Erfolg. Innerhalb
weniger Jahre fiel eine Buche nach der anderen auf "Rakkesch" um - heute steht nur noch eine der
wirklich alten. Auf "Platte Eech", wo offensichtlich nichts unternommen wurde, ging der Verfall
deutlich langsamer vonstatten. Aber auch hier schreitet heute das Ungemach unaufhaltsam voran.
Was vor etwa 10 Jahren noch einigermaßen akzeptabel aussah, ist heute ein einziges Trüm-
merfeld. Die wahren Ursachen für diese Katastrophe liegen leider weiter im Dunkeln. Wenn man
jedoch die weltweiten Ereignisse zwischen 1961 und 1971 betrachtet, so drängt sich eine mögliche
Erklärung auf: Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit war der Auslöser der Vietnamkrieg mit der
unseligen Entlaubung der Urwälder durch Agent Orange . Dieses Herbizid gelangte in den
Wetterkreislauf, wurde durch die Klimaströmungen mehrfach um den Erdball gejagt und hat auch
bei uns fast jeden Baum getroffen. Ich erinnere mich noch gut an die toten Baumspitzen und
Bäume von der Bretagne über die Eifel und bis in meinen Garten. Die Koinzidenz der Ereignisse ist
unbestreitbar, doch leider ist dieses Thema bis heute ein Tabu, und man redet lieber allgemein
über Umweltverschmutzung und sauren Regen, als die wahre Ursache zu finden bzw. zu
benennen.
Um "Platte Eech" zu finden, muss man
am Hinweisstein den "Roten Weg"
verlassen und nach Süden in den Wald
laufen. Bei genauem Hinsehen erkennt
der Pfadfinder die Andeutung eines
Trampelpfades, den die gelegentlichen
Besucher hinterlassen haben. Nach etwa
200m erreicht man über einige Gräben
einen verlassenen Waldweg, der wohl
aus der Zeit stammt, als die "Rote
Kuhle" (Rue Kuhl) noch benutzt
wurde.
Dieser alte Steinbruch ist ganz in der
Nähe und hat seinen Namen von den
roten Steinen und dem Lehm, die dort
gefunden wurden und mit denen der
"Rote Weg" gebaut wurde. Man
überquert diesen alten Weg und geht weiter in Richtung Süden durch den Fichtenwald. Ganz
plötzlich wird es vor einem deutlich grüner,
und man erkennt durch die Fichten die
ersten Buchen. Bald erreicht man einen
Platz der sehr unregelmäßig mit Buchen
bewachsen ist. Viele dieser riesigen Bäume
haben völlig kahle Äste, die bizarr in den
Himmel ragen. Etwa die Hälfte der alten
Buchen ist umgefallen und liegt verrottend
auf dem Gelände herum.
An den noch stehenden Bäumen wachsen
absonderlich aussehende Pilze aus den
Stämmen und man kann sich ausrechnen,
wie lange der Baum noch stehen wird. Es ist
sicher keine gute Idee, bei windigem oder
gar stürmischem Wetter diesen Ort zu
besuchen! Eine Reihe jüngerer Buchen ist
allerdings auch vorhanden, so dass man
sich um den Fortbestand des Platzes keine Sorgen machen muss.
Die Abmessungen von "Platte Eech"
sind ca. 100m mal 100m. Im Süden hat
die Forstverwaltung einen Teil der
Fichten entfernen lassen, offensichtlich
damit die Sonne besser auf das Areal
scheinen kann. Das führt dazu, dass von
"Platte Eech" jetzt die Trasse der alten
Vennbahn, dem heutigen Ravel Radweg,
sichtbar ist. Dieser macht hier gerade
einen perfekten Halbkreis um den
Birkhahnskopf, die höchste Erhebung in
Roetgen. Geht man von den letzten
Buchen ca. 200m Richtung Süden, so
erreicht man den neuen Rad- und
Wanderweg. Auf diesem Weg gibt es
keinen Hinweis oder gar eine
Abzweigung nach "Platte Eech". Nur der Kundige kann von hier aus im tarnenden Grün unser Na-
turdenkmal überhaupt entdecken. Z.Z. ist das auch gut so, denn "Platte Eech" ist 2011 noch nicht
(oder nicht mehr) bereit für unbedarftes Publikum. Das wird sich hoffentlich in den nächsten Jahren
mal wieder ändern. Auch wenn der letzte der alten Bäume dann umgefallen sein wird, so macht ein
Denkmal doch nur dann Sinn, wenn man es bewundern kann.
(rowi)